Ursula Hahmann

Statement

 
„Ach, Kirche.“, denke ich meist, wenn sich (katholische) Kirchenmänner zu dies und dem, was das Leben so ausmacht, äußern. Und während Kirchenblätter Wellen schlagen, weil sie in den Äußerungen progressive Wenden angedeutet sehen, nehme ich leise bedauernd zur Kenntnis, wie die Kirche damit wiedermal ihre jahrzehnteweite Entfernung von der Lebensrealität dokumentiert.

Mit ihrem Hinterherhinken und ihrem unnötigen Eingreifen in die persönliche Lebensführung der Menschen, grenzt sich die Kirche immer wieder aus. Und hat dabei auch noch selbst den Eindruck, sowas Ähnliches wie Normalität darzustellen. Vielleicht ist das eine Ursache der steigenden Irrelevanz der Kirche: dass sie es verlernt hat, normal zu sein.

Sinn und Glück sind nicht machbar, aber in Vielem „findbar“. Nicht zuletzt im konkreten Tun – das erfahren in den letzten Wochen viele Helferinnen und Helfer, die Flüchtende willkommen heißen und ganz praktisch unterstützen. Es ist großartig, dass die Kirche hier präsent ist – als Helfende und als Sinnstiftende. Im Folgenden beschränke ich mich allerdings bewusst auf ein „Kerngeschäft“ der Kirche – auf Gottesdienste, die auch sinnstiftenden Charakter besitzen.

Aus marktorientierter Sicht ist die Kirche hier Dienstleister. Wettbewerber sind all jene, die ebenfalls um (Frei-)Zeit konkurrieren: Museen, Theater, Organisationen wie Amnesty International, die freiwillige Feuerwehr, das Bundesligaspiel, das Thermalbad, das Reisebüro, der Baumarkt uvm.

Dass es viele und viele unterschiedliche Anbieter sind, ist sicher anstrengend. Die Kirche hat in diesem Wettbewerb aber auch eine besondere Stärke. Denn anders als die anderen, bei denen man auch sehr sinnvoll Zeit verbringen kann, hat sie etwas mit Gott zu tun. Bestimmt kann man auch im Fußballstadion religiöse Erfahrungen machen, aber wohl die wenigsten gehen genau deshalb dorthin. Es ist bestimmt nicht in Ordnung, Gott so funktional zu betrachten, aber es ist vermutlich so, dass es ein USP (Unique Selling Proposition – einzigartiges Verkaufsversprechen) der Kirche sein müsste, dass man in einen guten Kontakt zu Gott kommen kann. Mir ist klar, dass man das nicht „machen“ kann, aber vielleicht könnte man versuchen, es zu erleichtern, zu ermöglichen.

Schaue ich auf den Gottesdienst, so beschleicht mich der Eindruck, dass hiermit nur noch ein kleiner und immer kleiner werdender Teil der Bevölkerung erreicht werden kann. Zumindest in meinem Freundes- und Bekanntenkreis kenne ich zum Beispiel niemanden, der privat gerne die Musik hört, die in Gottesdiensten zu hören ist. Und auch die Sprache, die zumeist in Kirchen gesprochen wird, ist in der Wahl der Metaphern, im Duktus, der Intonation und vielem mehr für die Durchschnittsohren eher ungewöhnlich. So gibt es in Gottesdiensten noch viele weitere Aspekte, rituelle Handlungen und Machtausübungen, die einfach sehr speziell sind: Insidern vertraut und vermutlich auch wichtig, für Nicht-Insider schwer nachzuvollziehen. Manchmal gewinnt man den Eindruck, die Kirche erwarte von den Leuten die Bereitschaft, sich in eine bestimmte historische Gestalt aus vergangener Zeit zu fügen, um in den Genuss der Botschaft zu kommen. Umgekehrt ist es mir sympathischer und plausibler: Dass wir immer wieder nach Wegen suchen, die Botschaft in der jeweiligen Zeit wahrnehmbar zu machen, mit erkennbarer Relevanz für das Leben zu erzählen und gemeinsam zu feiern.

Die Kirche könnte also differenzierter werden und die vertrauten Formen um neue Formen ergänzen. Auf die Vielfalt der Gesellschaft mit einer echten Vielfalt an Angeboten reagieren. Keine modernisierende Kosmetik, sondern nutzergeleitete Neu-Entwicklungen. Auf die Botschaft kommt es an.

Vita

  • Jahrgang 1970
  • 1989-1995: Studium der BWL an der RWTH Aachen, Dipl.-Kff.
  • 1995-2000: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Unternehmenspolitik und Marketing der RWTH
  • 2000: Gründung der Hahmann & Neuwirth GbR
  • Seit 2004: Geschäftsführende Gesellschafterin der XIQIT GmbH

Außerdem

  • Taufe 1970
  • 1992-1999: Engagement in der Hochschulpastoral, lokal und auf Bundesebene
  • 1999-2010: Kirchenpause
  • Seit 2010: im Gemeindeteam von Zeitfenster, einer Gemeindeneugründung in der Pfarre Franziska von Aachen