Karsten Tappe
Statement
02.9.2015 – das Bild des ertrunkenen, dreijährigen Aylan Kurdi geht um die Welt – und überwindet in den gesättigten westlichen Zivilgesellschaften wenigstens vorübergehend die Wahrnehmungsschwelle.
12.9.2015 – Benedict Cumberbatch wendet sich im Londoner Barbican an sein Publikum – und rezitiert aus dem Gedicht „Home“ von Warsan Shire:
No one leaves home unless
home is the mouth of a shark.
You only run for the border
when you see the whole city running as well.
You have to understand,
That no one puts their children in a boat
unless the water is safer than the land.
15.9.2015 – Angela Merkel verliert in Berlin für einen Augenblick die Fassung:
„Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land“.
Menschliches Zusammenleben braucht Orientierung. Elf Millionen Sinneseindrücke prasseln auf uns ein – sekündlich. Wenn wir gar nichts tun. In unserer globalisierten Welt ist der Mittelpunkt für den einzelnen wichtiger denn je. Gleichzeitig sind die Anforderungen an sinnstiftende Angebote naturgemäß gestiegen – zumal dann, wenn sie sich nachhaltig durchsetzen wollen.
Wie kann es zu einer grundlegenden Verständigung über grundlegende Werte kommen? Indem wir uns Zeit nehmen. Im Idealfall sogar institutionalisiert. Wieder lernen, uns mit anderen Positionen auseinander zu setzen. Facebook, Twitter und Co. werden keinen Konsens herbeiführen. Geschweige denn die Welt retten. Niemand sollte reflexhaft seine Tibetanischen Gebetsmühlen herunter beten. Das ist ermüdend. Und ändert gar nichts.
Und was können die Kirchen dazu beitragen? Es gibt täglich zwei Chancen, relevant zu werden: Die Bild-Zeitung und die Tagesschau. Die Kirchen versäumen seit einiger Zeit beide Chancen täglich, während unsere Gesellschaft dringend der Orientierung bedarf. Das ist im besseren Fall hilflos. Es ist an der Zeit, dass Kirche spürbar eingreift, Orientierung bietet - und zur Verständigung beiträgt.
Vita
Seit 15 Jahren ist Karsten Tappe in Europas führender Beratungsgesellschaft für Kommunikation Ketchum Pleon tätig. Er widmet sich dort Fragestellungen der Nachhaltigkeit, gesellschaftlichen Verantwortung und Wirtschaftsethik. Zu seinen Klienten zählen Einrichtungen aus allen Sektoren: Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Langjährige praktische Anschauung hat zwei Dinge klar vor Augen geführt:
Verantwortung tragen meist die anderen. Dieser Reflex ist zutiefst menschlich – mit Blick auf die heutigen systemischen Herausforderungen und Transformationsprozesse allerdings nicht zielführend.
Und: Nachhaltigkeit ist eine Frage der Vermittlung. Die naturgemäße Komplexität des Themas und eine Zeit, in der ein „like“ bereits Aufmerksamkeit und Kommunikation darstellt, bedeuten oft ernstzunehmende Hürden.
Viel kann daher mit einer Haltung erreicht werden, die Alfred Herrhausen pointiert formulierte: „Wir müssen das, was wir denken, sagen. Wir müssen das, was wir sagen, tun. Und wir müssen das, was wir tun, dann auch sein.“
Vor Ketchum Pleon war Tappe Sprecher einer rheinischen Verlagsgruppe. Sein Studium der Geschichts- und Kommunikationswissenschaften führte ihn nach Nordrhein-Westfalen und Bayern.
Der gebürtige Baden-Württemberger lebt mit seiner Familie am Niederrhein. Von dort verfolgt er interessiert das gesellschaftspolitische Zeitgeschehen und unternimmt gerne (Rad-)Wanderungen.